Über mich
Die Kraft des Dokumentarischen
»Jeder Mensch trägt eine Geschichte in sich, die der eines Dostojewskij würdig ist. Wenn man Interesse zeigt und auf eine neue Art Fragen stellt, öffnen sich die Menschen.« (Swetlana Alexijewitsch)
Meine doku-fiktionalen Theatertexte und Hörspiele entstehen auf der Basis von aufwändiger Recherche, dokumentarischem Material und autobiografisch-narrativen Interviews, die zu einem vielschichtigen polyfonen Text verdichtet werden.
Die Suche nach dem Nahen im Fremden, nach der Grenze zwischen „Normalität“ und „Abweichung“ und dem gesellschaftlichen Umgang damit ist eine wesentliche Motivation für meine Reise in andere Realitäten und in die Perspektiven hinter den Zuschreibungen der öffentlichen Wahrnehmung.
Eine Wirklichkeit, die so vielschichtig und dynamisch geworden ist, kann in ihrer Komplexität nicht mehr allein durch Expertenwissen oder den moralischen überlegenen Gestus der Anklage abgebildet werden. Verschiedene Konzepte von Selbst- und Weltinterpretationen, kulturelle Identitäten und Differenzen treffen aufeinander, ergänzen und widersprechen sich.
Persönliche Erinnerungen und Erzählungen verweisen auf das Allgemeingültige im Individuellen. Unterschiedliche Fragestellungen und Blickwinkel auf die Welt werden wie unter einem Brennglas vergrößert. Gesellschaftliche Strukturen, soziale und historische Zusammenhänge werden sichtbar.
So entsteht ein Raum, in dem Erwartungen, gewohnte Wahrnehmungsmuster und Urteile irritiert und neu betrachtet werden können.
Expeditionen in die Realität der Anderen
»Ich bin in den 30er Jahren im alten Shanghai der Kolonialzeit aufgewachsen. Vor der Gründung der Volksrepublik China war das eine Stadt der Finsternis. Dort lebten wir Chinesen wie Sklaven der Sklaven im eigenen Land. Damit meine ich die Sklaven der Franzosen, die Vietnamesen mit ihren schwarzen Zähnen. Die Sklaven der Briten, das waren große bärtige Sikhs mit riesigen Turbanen und die Russen, die stanken nach Alkohol und Knoblauch. Die wurden als Polizisten eingesetzt. 1937 nach der Schlacht um Shanghai besetzten die Japaner die Stadt. Da war ich 11 Jahre alt. Wenn wir die Brücke überqueren wollten, mussten wir zehn Schritte von der Wache entfernt stehen bleiben und uns um neunzig Grad tief verbeugen. Vor dem Park hing ein Schild: ›Für Chinesen und Hunde verboten.‹ Fünf Jahre später war ich im Außenministerium der erste Deutsch-Dolmetscher von Mao Tse-tung.« XU aus: PFIRSICHBLÜTENGLÜCK
»Sie sitzt den ganzen Tag zuhause vorm Computer und macht an der chinesischen Börse rum. Irgendwann habe ich festgestellt, mein Konto ist leer. Sie hatte es angelegt, dass es Zinsen gibt. Glaubste, davon hätte ich irgendwas mitgekriegt? Das hätte mir irgendjemand mal gesagt!? Bis 15.00 Uhr sitzt die vor dem Computer und guckt sich irgendwelche wilden Zahlen an, von denen ich keinen Plan habe. Natürlich, es ist davon mehr geworden. Da hat sie schon ein Händchen für.« HOLGER aus: PFIRSICHBLÜTENGLÜCK
»Mit den Deutschen haben sie gemacht, was sie wollten bis der Stalin war tot. Und denn war‘s besser. All die Leute, die haben ihre Wohnungen wiedergekriegt. Aber mir, die Russlanddeutsche, wir haben nichts gekriegt. – Unsere Deutsche, die sind alle so bang. Mir sind doch so aufgewachsen, wir waren vor alles bang. Mir dürfen kein Wort nicht sagen. Sprechen konnten wir nur daheim. Wenn wir kamen auf die Arbeit und haben ein Wort gesagt, dann hat man’s gekriegt. Musst‘ man bezahle. Das ist alles im ganzen Körper. Immer so bang.« WALDEMAR aus: DIE RUSSEN KOMMEN!
»Wir saßen auf der Bank, zu viert. Da ist ein deutsches Rentnerpaar aus dem Haus gekommen, und die haben sich beschwert: ›Immer die Russen! Hocken da und trinken!‹ Ich hab gesagt: ›Entschuldigung, heute ist Samstag, ich hab Wochenende. Ich hab frei. Ich hab ganze Woche gearbeitet. Ich mach meinen Job. Ich hab für Sie Ihre Post mitgebracht und am Wochenende will ich meine Ruhe haben. Ich will bisschen trinken und dann geh ich Disco!‹ Der Mann hat noch so rumgemault, aber die Frau hat gesagt: ›Vielleicht hat der Kleine Recht. Nicht alle sind so.‹ Wenn die uns sehen unter der Woche im Jogginganzug, und ich trink Bier, das sieht schon irgendwie komisch aus. Die wissen nicht, dass ich steh jeden Tag um halb fünf auf, um die Post denen zu bringen. Das macht der Russe. So ist des.«
SERGEI aus: DIE RUSSEN KOMMEN!
YUSUF Erste Mal, wo ich angerufen hab, war an dem Tag, wo ich die Nummer bekommen habe. Erst mal sie geht nicht ran, ich war so ganz normal. Auf einmal sie geht dran. Ich werd nervös. Ich sag, hallo. Voll die Männerstimme. Sie sagt so, hey. – Ich, ja ich bins Yusuf. Was machst du? – Ja, dies und das. –Da hab ich zu ihr gesagt, kann ich dich öfters anrufen? Sie hat dann gesagt, ja. Wir haben aufgelegt, und ich bin herumgesprungen, übertrieben. Weil ich so glücklich war an diesem Tag. Und dann hab ich sie jede fünf Minuten angerufen.
VANESSA Wir haben richtig lange telefoniert, wow.
YUSUF Ja, Mann!
VANESSA Das waren Stunden sogar. Nachts durchtelefoniert.
YUSUF Wir haben viel geredet.
VANESSA Über alles, was in unserem Leben so alles passiert ist.
YUSUF Dass wir heiraten würden.
VANESSA Schon da hat er gesagt …
YUSUF Weil ich hatte ja Gefühle für sie. Sie hat mich verbrannt.
VANESSA Mit Zigarette an sein Gesicht verbrannt. Er hat mich immer umarmt, geküsst. Ich hab immer gesagt, geh weg von mir, ich will das nicht! Weil er das so oft gemacht hat. Er hat nicht aufgehört. Dann hab ich ausgedrückt. Ich wollte gar nichts, weil mein Vertrauen schon von so vielen anderen Jungs gefickt wurde. Er hat immer angerufen, ich hab immer aufgelegt. Er hat richtig gekämpft. Der hat alles gemacht, dass er mich bekommt. Ich wollte nicht. Aber dann hat er mein Herz erobert, diese Missgeburt. YUSUF und VANESSA aus: LIEBESRAP
» Pecunia olet. Geld stinkt. Nach der freudianischen Theorie steht Geld für Kot. Deswegen ist das so bäbä. Das ist der Schuldkomplex. Das ist so in Deutschland, die schämen sich für alles. Wenn man anfängt über Geld zu reden, dann tun sich ganz viele moralische Dimensionen auf. Und wenn Sie eine Frage glauben beantwortet zu haben, dann haben Sie zwei neue gestellt. Es gibt keinen Guten und keinen Bösen in dem Spiel. Das ist wie im griechischen Drama. Wir sind alle miteinander unschuldig in Schuld verstrickt. Da kann sich auch keiner rausziehen und sich nen schlanken Fuß machen oder irgendeine moralisch höhere Ebene erreichen und sagen, ich bin da anders. Nein, ist er nicht.« BANKER aus: VERMÖGEND
Foto: © Max Zerrahn