Der Kick
Ein dokumentarisches Stück von Andres Veiel und Gesine Schmidt über den Mord am 16-jährigen Marinus Schöberl in der Uckermarck
2002 misshandeln drei junge Männer den 16-jährigen Marinus. Die kahlrasierten Täter schlagen auf ihr schwächeres Opfer über Stunden hinweg ein und töten es schließlich durch einen Sprung auf den Hinterkopf. Es gibt erwachsene Zeugen, die nicht eingreifen. Täter und Opfer kennen sich, sie kommen alle aus demselben Dorf in der Uckermark. Der ‚Mordfall Potzlow‘ wurde in der Öffentlichkeit schnell als rechtsradikale Gesinnungstat eingestuft. Die Gewalt der Tat aber beginnt nicht in dieser Nacht; sie findet sich fortwährend in den Lebensgeschichten der Beteiligten und deren Familien: 1942 im Umgang mit den polnischen Fremdarbeitern, in den 90er Jahren im Umgang mit den ’neuen‘ Fremden. Sowohl die Familie der Täter als auch die des Opfers sind in der Dorfgemeinschaft nie wirklich angekommen. Über die Montage der verdichteten Gesprächsprotokolle versucht »Der Kick«, die Biografie hinter der Tat sichtbar werden zu lassen.
Die Wiederauferstehung des dokumentarischen Theaters. Aber anders als in den sechziger Jahren: keine geschichtsmächtigen Figuren, nicht die große Historie. Sondern eine Recherche im Abseits der Gesellschaft. Die reine Gegenwart: Ein halbes Jahr lang haben Andres Veiel und Gesine Schmidt Fragen gestellt und zugehört im brandenburgischen Potzlow, wo 2002 drei Jugendliche einen vierten ermordeten. Die Montage aus Originalzitaten von Eltern, Freunden, Lehrern spricht in einer konzentriert kargen Inszenierung mit nur zwei Schauspielern von Opfern und Tätern, bis die Kategorien von Tätern und Opfern fragwürdig werden: Es geht nicht um Verständnis, aber um den Versuch, das Unfassbare zu verstehen. Theatertreffen 2006
Uraufführung: 23.04.2005 · Theater Basel
24.04.05 · Maxim Gorki Theater, Berlin
Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=uFVMDvxN9EQ
BESETZUNG
Regie: Andres Veiel
Bühne und Kostüme: Julia Kaschlinski
Dramaturgie: Gesine Schmidt; Julia Lochte
Mit: Susanne-Marie Wrage und Markus Lerch
AUSZEICHNUNGEN
Friedrich-Luft-Preis für beste Berliner Inszenierung 2005.
Einladung zum Berliner Theatertreffen 2006.
Nominierung Mülheimer Theatertage 2006.
„Der Kick“ wurde in acht Sprachen übersetzt und an mehr als 50 Bühnen aufgeführt.
PRESSESTIMMEN
»Das streng dokumentarische Stück ›Der Kick‹ war ein deutschlandweiter Erfolg. Es wurde zum Theatertreffen und zu den Mühlheimer Theatertagen eingeladen.« Der Spiegel
»Veiel und Schmidt verfallen nicht in eine Rethorik des Nihilismus. Im Gegenteil finden sie das Humane dort, wo es auf den ersten Blick fehl am Platz ist. (…) ›Der Kick‹ ist die Suche nach Facetten der Wahrheit, die für ein Urteil nicht von Belang sein können. Sie kommen durch das Spiel der Schauspieler zur Sprache. Indem Susanne-Marie Wrage und Markus Lerch Opfer und Tätern, Zeugen und Richtern eine Stimme geben, verweisen sie den Fall an die Gesellschaft zurück, aber nicht im exkulpierenden Sinn, der persönliche Verantwortung leugnet, sondern in jenem differenzierenden Sinn, den die Tragödie lehrt.« FAZ
»›Der Kick‹ ist nicht nur ein mutiger Versuch über das Unfassbare. Es ist auch eine Bewährungsprobe für das Kino, das auf seinen Illusionismus verzichtet und die Abstraktionskraft des Theaters klug und behutsam mit der Körperlichkeit des Films verbindet. Der Bühnenraum, in den sich ›Der Kick‹ zurückzieht, wird so zu einer platonischen Höhle des Zusehens und Vorstellens. Eine Höhle, groß genug für Monster und all die anderen Ausgeburten eines umgelenkten, kümmerlichen Selbsthasses.« taz
FOTOS
Wilfried Böing, Nachlass Berlin